... und andere Coronageschichten
Vodka und Corona
Ich wage jetzt mal einen Vergleich. Nicht, weil ich was vergleichen will, was man nicht vergleichen kann, sondern weil ich mir und vielleicht auch euch was veranschaulichen will. Warum also nicht Vodka und Corona?... und wie Statistiken entstehen.
Hier also das eine Szenario:
Ich sitze in einer Kneipe und trinke ein Bier - das ist etwa ein halber Liter - esse dann noch was, vielleicht eine Currywurst. Das dauert so eine halbe Stunde. Dann schnalz ich mir noch schnell drei, vier Vodka, weil die Currywurst schon recht schwer ist. Direkt danach puste ich spasseshalber in einen Alkomat. Dann sagt mir der Alkomat, hey, du hast ein Bier gehabt, kein Problem, du darfst dich ins Auto setzen. Alles gut. Dann setze ich mich ins Auto und kurz vor daheim will so ein Uniformierter, dass ich noch mal in so einen Alkomat puste. Der Alkomat sagt dann folgendes: Das mit dem einen Bier war eine nette Idee, ich merke aber die Vodkas auch. Zack, Führerschein weg.
Szenario zwei:
Ein Inzidenzwert ist eine Momentaufnahme, aus der man etwas ableiten kann... aber nicht muss. Die Inzidenz sagt - und jetzt möchte ich nicht drum rum reden, es geht um Corona - dass sich zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich jetzt, eine bestimmte Menge Menschen infiziert haben. Und wir wissen, dass von dieser Menge Infizierter eine ganze Menge krank wird. Und von den Erkrankten werden wiederum einige ins Krankenhaus kommen und ein paar von denen auch in die Intensivstation. Und das mit einer zeitlichen - von 14 Tagen ist oft die Rede - Verzögerung. Niemand macht einen PCR-Test, fällt um und muss beatmet werden. Da liegen Tage dazwischen.
Was ich damit sagen will? Erfahrung, gesicherte Untersuchungen und der gesunde Menschenverstand sagen, dass etwas, was ich jetzt tue, was jetzt in diesem Moment geschieht, Auswirkungen auf dann bald hat, auf morgen, auf die nächsten Tage. Und wenn ich das nicht will, dann muss ich da "Stopp" sagen, wo ein Stopp noch möglich ist.
Wenn ich mich bärig fühle und genau weiß, nach den nächsten Vodkas werde ich morgen einen Kater haben, dann muss ich den Vodka sein lassen.
Aber so, wie ich den Vodka nicht sein lassen werde, so werden wir Corona nicht sein lassen, wenn wir den Tatsachen nicht ins Auge sehen wollen.
Auch irgendwie Corona
Ich hab ja jetzt persönlich noch keinen Arzt einer Intensivstation befragt. Auch keine Pfleger oder Pflegerin. Kenne ich zu wenige davon. Bin auch selbst nicht so oft auf der Intensivstation. Ich höre nur davon. Und da höre ich ganz oft, da liegen ganz viele mit Corona rum. Und ich höre ganz selten, dass da jemand sagt, ge' quatsch, die haben alle kein Corona. Und ich glaube - zugegeben, Glaube ist nicht so ein wirklich guter Gradmesser... trotzdem - wenn Corona auf den Intensivstationen kein Thema wäre, dann würde auch jemand sagen, das ist kein Thema. Sagt aber niemand.
Klar kann man jetzt sagen, lass uns mal abwarten, lass und erst die Daten auswerten. Kann man schon machen. Das wird auch jemand machen. Dafür werden Leute bezahlt. Aber diese Daten wird es erst hinterher geben. HINTERHER! Das ist so mit diesen Daten. Die sind vorher nicht da. Vorher sind da Annahmen oder Vermutungen. Oder aber auch Leute, die keine Luft bekommen und deswegen beatmet werden müssen. Und erst dann, wenn die an den Schläuchen hängen und das Personal die Muße hat, Erhebungen durchzuführen, dann werden aus diesen Leuten Daten.
Es gibt dann zwei so Herangehensweisen. Die eine mehr so, ich habe da eine Vermutung und wenn sich die bestätigt, dann wird es für uns alle blöd. Und die andere so, bevor ich keine Daten habe, glaube ich nicht, dass irgendwas blöd ist.
Mich wundert nicht, dass Noah nur Tiere mitgenommen hat.
"Naja - mal Hand aufs Herz: Wer von euch/uns hat ernsthaft damit gerechnet, dass die Pandemie in so kurzer Zeit so heftig an Fahrt aufnimmt. Ich nicht. Dass da nochmal was kommt, war mir klar. Dass die vierte Welle alles Bisherige in den Schatten stellt, nicht. Und sie hat gerade erst angefangen."
Wer hätte damit gerechnet? Und auch wann hätte man gerechnet? Sicher wäre es vermessen, sich jetzt hinzustellen "Ich! Ich habe ernsthaft damit gerechnet." Denn das habe ich nicht.
Ich habe mich vielmehr lange der Hoffnung hingegeben, die Impfung würde es schon irgendwie richten. Macht sie nicht, das ist heute klar. Weil man sich trotzdem Anstecken kann. Weil man den Virus trotzdem übertragen kann. Weil sich viel zu viele nicht impfen lassen.
Dennoch. Das Jahr über wehten Zweifel und Verunsicherung durch meine Hoffnung. Wird die Impfrate ausreichen? Was macht denn diese Delta Variante? Länder, die dachten, die Pandemie hinter sich zu haben, kämpfen plötzlich mit explodierenden Infektionsraten. Machen wir da nicht die gleichen Fehler wie letztes Jahr? Mit Urlaub, Skifahren, zurück ins Büro?
Und dann. Irgendwer kam auf die Idee, dass das gebannte Starren auf den Inzidenzwert nicht zielführend sei. Zu ungenau sei er. Keine Aussage über die Gefährlichkeit der Krankheit habe er. Wahrscheinlich hatte einfach jemand Angst, dass wir mit dieser Inzidenzskala - die da sagt, unter 35 ist alles supi, über 100 ist alles kaka - von Lockdown zu Lockdown stolpern. Eine andere Kennzahl musste her. Die Krankenhaus-Ampel. Hey, die Krankenhaus-Ampel? Gehts noch? Was für Hirnamputierte sind denn auf diese Idee gekommen?
Auf der Straße funktioniert das Ampelprinzip. Grün - alles braust los. Rot - alles bleibt stehen. Weil das als ganz geschickt angesehen wird. Und wer dieses Prinzip nicht als geschickt ansieht, der zahlt... und bekommt Punkte in Flensburg.
Bei einem Virus? Die Betten sind voll, die Ampel ist rot. Lieber Virus jetzt halt aber mal inne. So? So ein Virus hält nicht inne, nicht weil irgend ein Kasper was von einer Ampel faselt. Und wenn die Betten voll sind, dann schiebt der Virus nach. Und wir wissen - mittlerweile aus Erfahrung - je höher die Inzidenz, desto mehr schiebt der Virus.
Statistik. Ein Blick auf die Inzidenzkurve(1) und ja, man hätte mit der vierten Welle rechnen können. Weil sich die Inzidenz dieses Jahr ganz ähnlich dem letzten Jahr entwickelt hat. Weil Fachleute gewarnt haben. Weil wir wissen, dass Krankheiten, die uns diesen Winter plagen - nicht jedoch im Sommer - uns auch im nächsten Winter plagen. So hätten wir damit rechnen können.
Ein Blick auf die Inzidenzkurve und ja, man hätte bereits Ende August sehen könne, dass da irgendwas blödes auf uns zukommt. Und wenn schon nicht Ende August, dann spätestens Mitte Oktober. So hätten wir damit rechnen können. Aber man hat ja nicht mehr auf die Inzidenz geschaut und die Krankenhaus-Ampel hat ja ganz lange ganz prima grün gestrahlt.
Ganz klar, ich habe nicht damit gerechnet. Auch und vor allem weil das Rechnen mit Viren nicht zu meiner Profession gehört. Nicht das Forschen um das Virenverhalten. Nicht das Entwerfen von Pandemie-Szenarien. Und ganz klar nicht das Entscheiden, was wann wie passieren muss.
Aber ich erwarte, dass diejenigen, die Entscheiden - über unser Leben und über das Sterben - sich eingehender mit der Materie auseinandersetzen. Sich besser und fundierter beraten lassen. Um dann rechtzeitig und nachhaltig zu entscheiden.
Und da hat der Söder seine Augen zu gemacht... und die Welle nicht gesehen.