Klimakleber in den Knast
Unterbindungsgewahrsam
Es gibt Themen, über die schreibe ich viel zu zaghaft. Weil mir der Aufhänger fehlt. Weil sie nicht so unter den Nägeln brennen. Und dann kommt der Moment, wo sie hochgespült und sich mit voller Wucht in den Erlebnishorizont drängen. Der Unterbindungsgewahrsam zum Beispiel.
Deutschland läuft ja gerne mit dem Zeigefinger der Menschenrechte an der einen und dem Zeigefinger der Moral an der anderen Hand durch die Gegend. Gerade Frau Baerbock muss da bald zwei steife Finger haben.
Aber - und da möchte ich glatt mal die Bibel bemühen - wer den dicken Balken vor dem Kopf trägt, soll nicht in seines Gegenübers Auge mit dem (Zeige-) Finger pulen.
Wobei ich natürlich eingestehen muss, in Sachen Deutschland gegen Katar oder Iran sind Spreissel und Balken schon sehr zu Ungunsten von ... Katar und Iran verteilt.
Das soll mich hinter meinem Brett vor dem Kopf nicht hindern, meine Finger in fremde Wunden zu bohren.
Und heute möchte ich den Finger in das Polizeiaufgabengesetz bohren. Und da insbesondere in den Unterbindungsgewahrsam. (1)
2018 wurde das Polizeiaufgabengesetz in Bayern erheblich zu Ungunsten von Freiheit und Rechtsstaat ausgeweitet. Ein sehr breites Bündnis ist seiner Zeit auf die Straße gegangen, um zu warnen, zu protestieren und das Schlimmste abzuwenden. Und wenn ich sage, ein breites Bündnis, dann ist das auch so gemeint. Auf der Straße standen nicht nur die üblichen Verdächtigen von ganz links außen. Auf der Straße standen Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Von eben ganz links über Fußballfans - 60er und Bayern vereint wie selten - bis hin zur Katholischen Jugend Bayern. (2)(3)
Der Versuch, das Schlimmste abzuwenden hat indes wenig gefruchtet: Bis zu zwei Monaten kann man in Bayern eingeknastet werden, ohne dass man was gemacht hat. Präventiv. Also unter der Annahme, dass man eventuell etwas anstellen könnte. Im Gesetz wir denn auch etwas von "erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit" geschwurbelt. (4)
Jetzt mag sich das einfache Gemüt einen bis an die Zähne bewaffneten Amokläufer vorstellen, der besser ein paar Tage in der Zelle aufgehoben ist, bevor er mordend durch Fußgängerzonen marodiert. Mit so einem Bild lässt sich eine Präventivhaft gut verkaufen.
Wir wissen jedoch, dass die Polizei windelweiche Begriffe wie "erhebliche Bedeutung" gerne sehr weit auslegt. Ich erinnere hier an den Umgang mit persönlichen Daten, die man zu Hochzeiten der Corona Pandemie zur Kontaktnachverfolgung im Infektionsfall in Kneipe und Biergarten hinterlegen musste. Zur Kontaktnachverfolgung, nicht zur Strafverfolgung. Aber wer wird da schon so kleinlich sein, hat sich die Polizei gedacht und aus dem Vollen geschöpft. Vertrauensverlust hin oder her. (5)
Jetzt trifft es die Klimakleber. Damit sie sich nicht während des Feierabendverkehrs auf die Leopoldstraße picken, werden sie nach Stadelheim verbracht. (6) So ein Feierabendstau ist schließlich von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit. Wobei aufmerksame BeobachterInnen schnell sehen, so ein Feierabendstau entsteht Tag ein, Tag aus, egal ob sich da jemand hinpickt oder nicht. Da schreitet dann aber keine Polizei ein.
So eine Polizei schreitet auch nicht ein, wenn so ein Feierabendverkehr die Umwelt verschmutzt und das Klima kippt. Da ist die erhebliche Bedeutung zwar auch gegeben. Denn das Überleben der Menschheit ist schon irgendwie bedeutend. Aber nicht ganz so bedeutend, wie die freie Fahrt für freie BürgerInnen.
In der Politik mag es so manchen ganz recht sein, wenn die Klimakleber von der Straße sind. Dann muss man sich mit deren Ansinnen nicht weiter befassen. Sind doch eh alles Kriminelle, die und an unseren Wohlstand wollen. Rechtsstaat hin oder her.
(1) [de.wikipedia.org]: Unterbindungsgewahrsam
(2) [www.emaz.de]: Stärkung der Bürgerrechte
(3) [www.deutschlandfunk.de]: Innenminister Herrmann spricht von „Lügenpropaganda“
(4) [www.gesetze-bayern.de]: Art. 17–20 PAG
(5) [www.emaz.de]: Coronalisten und die Polizei
(6) [www.sueddeutsche.de]: Klimaschützer protestieren gegen Präventionshaft von Gleichgesinnten