Abt.: Ich knall dich weg

Kracherkrieg

Der heilige Kracherkrieg ist entfacht. Die Gräben gehen Tief. Die Kontrahenten sind unversöhnlich. Als wenn das Fortbestehen des Abendlandes auf Böllers Lunte läge.

Früher war alles...

Als Kind habe ich all die Kinder beneidet, die auf unbekannten und geheimnisvollen Wegen in den Besitz von Schweizer Krachern(1) gekommen sind. Eine einzelne Batterie aufgedröselt versprach vielzehnfachen Spaß. In den versteckten Ecken im Hinterhof Airfix Manschgerl oder Schlümpfe sprengen. Oder einen einzelnen Kracher knicken und zwischen den Fingern als Minifontäne zünden.

Ebenso habe ich die Kinder beneidet, deren Eltern mit Raketenbatterien aufwarteten. Wer kann sich schon dem faszinierenden Farbenspiel am Himmel entziehen.

Das kindliche Darben bei Knallerbsen und Bleigiessen wirkt nach bis heute. Was ich nicht haben kann, daran verliere ich das Interesse. Selbst heute kann ich am alljährlich wachsenden Angebot pyrotechnischer Spielereien im XXL-Format vorbei gehen, ohne dass es mich in den Fingern juckt.

Was mich schon immer genervt, gestört und verärgert hat, war die diebische Freude halbstarker Testosteronbubis, die Passanten Kracher zwischen die Beine werfen. Spackos, die ihre Böller vom Balkon auf Spaziergänger schmeissen. Und auch die, die ihre Raketen direkt in Menschenmengen lenken.

Aber derartige Rindviecher sind die Ausnahme. Die Mehrheit der Böllerer will einfach nur Spaß. Das alte Jahr verabschieden, das neue begrüssen. Oder mit prachtvollen Fontänen Ahhs und Ohhs erzeugen.

Ansonsten war es so: Wer Feuerwerk und Böller nicht mag, bleibt zum Jahreswechsel einfach drinnen. Punkt.

Ich kann sagen, ich bin drinnen nie alleine gewesen. Es gab schon immer BöllerverächterInnen. Was es nicht gab, das waren Streit und gegenseitige Anfeindungen zwischen Böllerern und Nichtböllerern.

Hunde und Katzen

Ich mag nicht in Abrede stellen, dass Hunde und Katzen unter dem Geböller leiden. Ganz im Gegenteil. Zum Jahreswechsel würde ich nie einen Hund vor die Türe jagen.

In den Sozialen Medien - auch in meiner Timeline - tobt derzeit ein Krieg, als gäbe es kein Morgen. Wer böllert ist ein Hundehasser. Wer böllert ist Rücksichtslos. Böllern erzeugt Feinstaub. Böllern ist wie Geldverbrennen. Böllern ist gefährlich.

Aber mal ganz ehrlich, gibt es da nicht - Tag ein, Tag aus - hunderte Dinge, die einen Hund in Panik versetzen? Knatternde Motorräder zum Beispiel. Oder aufheulende Motoren allgemein. Ich kannte einen Hund, der hat jedes Mal die Motten gekriegt, wenn irgendwo eine Jalousie runter gekracht ist. Soll das denn auch alles verboten werden?

Und was interessiert es eigentlich mich, wer sein Geld wie verbrennt? Oder wer sich mit welchem Kracher Finger und Augen wegreisst?

Dann gibt es da noch diese Hippies, die ihre Hunde überall hin mitschleppen. Zum Beispiel auf ein Punk Konzert. Auf ein Punk Konzert? Echt jetzt? Ja, echt. Und die stehen an vorderster Front, um gegen Böller vorzugehen, weil das ihre Zamperl ja gar nicht mögen.

Rücksicht und Rückschlag

Wie das so oft ist, je lauter die Hundefreunde nach einem Böllerverbot rufen, desto lauter wird geböllert. Statt gegenseitiger Rücksicht, Mass halten und Verständnis kommt es einmal mehr zu Shitstorm, Hass und Spaltung. Ein Miteinander scheint nicht mehr möglich. Es gibt nur noch Gut und Böse. Böllerer und Nichtböllerer.

So werde ich denn dieses Jahr versuchen als Böser, der das Böllern nicht verbieten will, drinnen bei den Guten - für die Böllern gleichbedeutend mit Genozid an Haustieren ist - zu sitzen. Wenn das zu arg wird, dann gehe ich eben auf den Balkon und sehe dem dem faszinierenden Farbenspiel am Himmel zu, dem ich mich auch heute kaum entziehen kann.

Neujahr

Das Schöne daran? Neujahr hat das alles wieder ein Ende. Die Böllerer böllern nicht mehr. Und die Hundefreunde rufen erst zum nächsten Silvester wieder nach einem Böllerverbot. Bis dahin können wir und wichtigerem zuwenden.

(1) Tatsächlich handelte es sich um Lady Cracker, aber das habe ich erst sehr viel später erfahren.